Goethes Leichen by Kohl Paul

Goethes Leichen by Kohl Paul

Autor:Kohl, Paul [Kohl, Paul]
Die sprache: deu
Format: epub
ISBN: 9783863588892
Herausgeber: Emons
veröffentlicht: 2015-10-17T00:00:00+00:00


ACHT

Am nächsten Morgen fand Kestner einen Zettel auf seinem Nachttisch, geschrieben mit roter Tinte. Oder war es keine Tinte? Er las: »Es war mir ein Vergnügen.«

Wie kam dieser Zettel nach Mephistos Abgang auf den Nachttisch?

Dieses Mal musste Kestner Lorenz wach rütteln. Völlig verschlafen blinzelte er ihn aus verklebten Augen an.

»Wo warst du so lange?«

»Bei Leonore.«

»Die ganze Nacht?«

»Warum nicht?«

»Wie war’s?«

Mit schwärmerischer Stimme rezitierte Lorenz:

»Kein Apfel ist so rot und rund wie ihr Gesicht und Wangen. Wie Rosenblätter ist ihr Mund, dran Honigtropfen hangen. Ihre Augen sind so hell und klar wie Rebhühneraugen. Sie könnten ach, fürwahr des Nachts als Sterne taugen.«

Kestner hörte sich seine Verse an.

»Na schön, das schreibt dein Schubart. Aber konkret?«

»Sie ist neunzehn und sehr lieb. Sie hat ’ne Menge Geschwister und muss sie miternähren. Muss Geld verdienen. Der Bertuch zahlt nur wenig. Vom Arbeiten hat sie zerstochene, wunde Finger. Sie schmerzten, als sie mir über die Wangen strich.«

»Immerhin hat sie damit meine Handschrift zerschnitten, als Muster für ihre Blumen«, ließ Kestner bitter fallen. »Was habt ihr gemacht?«

»Das geht Sie nichts an.«

Er hatte recht. Das ging ihn wirklich nichts an. Kestner entschuldigte sich. Er hielt Lorenz den Zettel hin. »›Es war mir ein Vergnügen.‹ Hast du das geschrieben?«

Lorenz verstand nicht, was Kestner meinte. »Wie sollte ich? Dass es mir ein Vergnügen mit Leonore war, schreib ich Ihnen doch nicht auf einen Zettel.«

»Dann war es Mephisto.«

»Welcher Mephisto?«

»Der widerliche Fuchskragen, der uns ständig verfolgt.«

»Er heißt Mephisto? Komischer Name.«

»Er war heute Nacht bei mir.«

Erschrocken richtete sich Lorenz im Bett auf. »Der Kerl war hier im Zimmer?«

Kestner zeigte auf die beiden Ziegelsteine und die Patronenhülsen auf dem Boden.

»Er war das? Wie kam er herein? Die Tür war abgeschlossen. Und vor der Seitentür stand der Waschtisch.«

»Vielleicht hatte er von der Pfotenhauer einen Schlüssel.«

»Was wollte er von Ihnen?«

»Er hat mir gedroht. Ich soll meine Nachforschungen sein lassen. Sonst endet es schlimm mit mir.«

»Dann wird’s höchste Zeit, dass wir abhauen. Ohne dass ich Leonore noch mal sehe …«

»Wir reisen heute noch nicht ab.«

»Nein?« Jetzt war Lorenz hellwach. Freudig rief er aus: »Da kann ich Leonore heute doch noch sehen! Wann fahren wir denn dann?«

»Weiß ich noch nicht. Vorerst sind alle Kutschplätze belegt.«

Zufrieden legte Lorenz sich in die Kissen zurück. »Wie schön.«

»Und ab morgen bekommen wir zwei getrennte, komfortable Zimmer.«

»Wieso das?«

Kestner erklärte ihm die Sache mit der Einladung der Freifrau von Stein und dem Stimmungsumschwung der Pfotenhauer, da sie durch die Einladung erfahren hatte, dass er Hofrat war.

»Warum haben Sie ihr das nicht gleich gesagt? Da hätten wir uns das Ganze hier ersparen können.«

Wo er recht hat, hat er recht, dachte Kestner.

Von Lorenz erfuhr er, dass die Mädchen der Blumenwerkstatt heute arbeitsfrei erhalten hatten, damit sie zur Enthauptung gehen konnten. Sie sollten sehen, wie es ihnen erginge, wenn sie ihr Neugeborenes töteten wie die Höhn. Die Manufaktur gewährte diesen freien Tag zu ihrer Abschreckung.

Leonore und Lorenz hatten jedoch keine Lust, sich das Spektakel der Urteilsverkündung und der anschließenden Hinrichtung anzusehen. So hatten sie gestern beschlossen, stattdessen den Tag an der Ilm oder sonst wo zu genießen.

Die ganze Stadt war unterwegs.



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